Nathanael in Beirut, Libanon // 1. Bericht

Ich muss ehrlich sagen, trotz Dokus, Artikeln und anderen Materialien, die ich vor Beginn meines Freiwilligendienstes mehr oder weniger durchgegangen bin, war es wohl unmöglich, sich auf die erste Zeit hier und dieses verrückte kleine Land vorzubereiten. Schon bei der Ankunft musste ich feststellen, dass alles ein bisschen anders läuft, ein bisschen chaotischer, ein bisschen simpler und dadurch letztlich ein bisschen komplizierter.

Kurz nach den ersten Eindrücken der libanesischen Landschaft aus dem Flugzeug, mit ihren in der Abendsonne glühenden Felsen, der gelb-grauen Skyline Beiruts und dem im Smog gehüllten Mittelmeer, befand ich mich schon in einer Diskussion bei der Passkontrolle über meine Absichten im Land und wartete schließlich darauf abgeholt zu werden. Das stellte sich aber als schwieriger als gedacht heraus, da mein Fahrer anstelle meines Namens „YEAH SURE” auf dem an mich adressierten Schild zu stehen hatte. Typisches libanesisches Chaos halt.

Irgendwann hatte er mich dann doch erkannt und nach einem “Welcome to Lebanon“ ging es los durch die südlichen Vororte Beiruts, die für die nächsten zehn Monate mein Zuhause sein sollten.

Die Begrüßung “Welcome to Lebanon” hörte ich in den folgenden Wochen ständig. Jedes mal, wenn ich mich in einem Laden oder neuen Bekanntschaften vorstellte oder erzählte, wie lange ich im Libanon sein werde und woher ich komme, konnte man den Stolz im Gesicht des Gegenübers erkennen, mich willkommen heißen zu dürfen, gefolgt von einem “Welcome to Lebanon” und für einen Moment schienen all die Probleme, die dieser kleine Landstreifen an der Mittelmeerküste hat zweitrangig.

Früh hatte ich festgestellt, dass mein Arbeitsalltag in Chabibeh (so heißt der Sportverein, in dem ich arbeitete) nicht so funktioniert, wie ich das aus Deutschland gewohnt war.

Wir mussten uns unsere Aufgaben oft selber aussuchen und bekamen zusätzlich Projektvorschläge von unseren Chefs Fadi und Lama.

Ohne die Motivation, an eigenen Ideen und Projekten zu arbeiten, ist man in diesem Arbeitsumfeld wahrscheinlich etwas aufgeschmissen. Erst mit der Zeit wurde mir so richtig bewusst, wie vielseitig die Aufgaben eines “Volunteers” sein können.

Für mich bedeutete das, dass ich nahezu jeden Nachmittag verschiedene Basketballteams als Trainer betreute, vormittags hin und wieder in Schulen gearbeitet und vor allem hier den Sportunterricht übernommen und außerdem Workshops für andere Freiwillige geplant oder Organisatorisches für den Verein übernommen habe. Dazu kamen an den Wochenenden hin und wieder Spiele für die verschiedenen Teams, die, wenn man nicht gerade haushoch verloren hat, sich gerne zu einem riesen Spektakel entwickelten – laute Trommeln, streitende Eltern und ein deutscher Trainer, der versucht, dass alle sich wieder beruhigen, inklusive.

Hinzu kam, dass uns weitere Aktivitäten für NGOs offenstanden, beispielsweise habe ich in einem der wichtigsten Flüchtlingslager im Süden Beiruts ein Basketballprojekt begleitet.

Gewohnt habe ich zusammen mit Malin aus Dresden und Luca aus Italien, der zwar schon 30 Jahre alt ist, aber auch trotz des Altersunterschiedes funktionierte unser WG-Leben, bis auf ein paar Probleme mit der Wohnung, hervorragend und wir haben gerne viel gemeinsam oder zusammen mit unseren libanesischen oder internationalen Freunden unternommen. Es fiel uns leicht neue Kontakte zu knüpfen, da die Libanesen alle super herzlich und offen sind und die Stadt voller internationaler Freiwilliger ist, mit denen man die freie Zeit an der Mittelmeerküste oder in den zahlreichen Bars der Stadt verbringen konnte.

Unsere Wohnung war in einem klassisch christlichen Arbeiter-Vorort und trotz der engen vollen Straßen und hohen Häuser wirkte das Leben hier sehr dörflich. Jeder kennt jeden und keiner meiner Einkauftrips ging vorbei ohne mindestens dreimal “Hello Coach Nate, how are you?” zu hören.

Und obwohl sich unser Alltag überwiegend in diesem Mikrokosmos abspielte, ist die unruhige Situation im Land mit ihren politischen und wirtschaftlichen Krisen natürlich nicht von uns unbemerkt geblieben, zumal wir in einer sogenannten Red-Zone lebten, unweit der von der Hisbollah geprägten Vororte. Dass man sich unterstellen muss, wenn man hört, dass mal wieder einer in die Luft schießt, gehörte da schon zum Alltag (alles was hochgeht, kommt ja schließlich auch irgendwann wieder runter).

Trotzdem haben wir uns immer sicher gefühlt, besonders die Innenstadt von Beirut und die nördlichen Vororte haben so gut wie westliche Standards und bieten alles, was man sich von einer mediterranen Großstadt wünscht.

Trotz der spürbaren Resignation vieler über die Situation im Land, ist die Stadt voller Kultur, schicker Cafes, Musik- und Filmevents und Straßenfesten, die Hoffnung auf eine stabilere, moderne Zukunft machen.

Beirut ist weder eine westliche noch eine arabische Stadt, die Kontraste sind es, die sie und dieses Land am besten beschreiben. Die Villen auf den Hügeln trennen keine 100m von den Plattenbauten ohne ausreichend Strom und Wasser und zwischen einem Aufenthalt im Flüchtlingslager Shatila und im prunkvollen Ausgehviertel lagen an einem Freitag bei mir nur wenige Stunden. Ein libanesischer Freund hat mir mal erklärt, es gibt 18 anerkannte Religionen im Libanon und jede hat eine andere Kultur. Für das Land bedeutet das, dass du hier eigentlich alles finden kannst. Starbucks oder kleines arabisches Cafe, libanesischen Dabke tanzen oder doch lieber in einem der vielen Techno Clubs raven gehen, als Hipster einen veganen Burgerladen aufmachen oder ultrareligiös leben? Alles existiert in Beirut nebeneinander.

Tja und wenn wir mal nicht arbeiten mussten, die Wohnung nicht komplett unter Wasser stand und unser zugelaufene Welpe Dialli nicht durchgedreht ist, hatten wir auch genug Zeit all das in Beirut kennenzulernen, oder sogar Tagestrips nach Byblos (einem sehr schönen Küstenort) oder Tripoli (der zweitgrößten Stadt, die kaum touristisch erschlossen ist) zu machen.

Am meisten am Projekt hat mir in diesem ersten Monat wahrscheinlich die Vielfalt gefallen. Auch wenn es herausfordernd sein kann, sich seinen Freiwilligendienst mehr oder weniger selbst zu organisieren, da es nicht viele Anweisungen und Anleitungen gibt, hat man gerade dadurch die Möglichkeit, verschiedene Projekte und Ideen auszuprobieren und viel zu erleben.

Auch stand immer der Austausch zwischen uns europäischen Volunteers und den Freiwilligen, Vereinsmitgliedern und Schülern von dort im Vordergrund. Ich hatte eigentlich immer das Gefühl, dass das Verhältnis zwischen Lernen und Lehren bzw. Helfen für mich ausgeglichen war, es ist schön zu sehen, dass Projekte, an denen wir mitgeholfen haben, auch in unserer Abwesenheit weitergeführt werden.

Wer im Libanon arbeiten und leben möchte, muss sich aber bewusst sein, dass auf Grund der politisch instabilen Situation im Land und der Region nichts sicher von Dauer ist.

Hat mich meine Chefin Lama noch witzelnd in der ersten Woche gefragt, ob ich denn bei der Botschaft registriert bin, damit mich die Amerikaner im Notfall mit einer Militärmaschine ausfliegen könnten, saß ich tatsächlich einen Monat später schon wieder im Flieger nach Deutschland, um mich vor der steigenden Gefahr eines ausgeweiteten Krieges zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah in Sicherheit zu begeben.

Trotzdem hoffe ich, bald wieder auf dem Dach unseres Plattenbaus im Süden Beiruts sitzen und auf die vielen Hügel der Stadt schauen zu können. Die vielen schönen Erinnerungen und Kontakte werden aber so oder so von Dauer sein.

Nathanael