Malin in Beirut, Libanon // 1. Bericht

„Du bist sehr verwirrt“ stand in der Übersetzer App auf meinem Handy. Tatsächlich verwirrt schaute ich das Mädchen, das gerade ins Mikrophon gesprochen hatte, an und sie machte eine luftzufächelnde Bewegung mit ihrer Hand. Später wurde mir erklärt: Sie sagte „Khtir chop“ – sehr heiß. Danach benutzte ich die App weniger, diese Wörter mehr – bei Temperaturen von 25 Grad nachts und 32 Grad tagsüber.Ein bisschen mehr als 3 Monate ist es nun her, als ich voller Aufregung aus dem Flugzeug stieg und mein neues Zuhause das erste Mal in Realität sah. Ich wusste, das, was die nächsten 10 Monate auf mich zukommen sollte, würde verändernd, ereignisreich und extrem prägend werden.

Nun ist es November, es herrscht Krieg im Nahen Osten und ich sitze im regnerischen Deutschland. Alles ist anders verlaufen, als ich mir das vorgestellt habe, aber ich würde Nichts in der Welt tauschen, gegen das, was ich in den 2 1/2 Monaten erleben durfte.

Als ich Anfang August ankam, war das Summercamp im Sportclub Chabibeh in vollem Gange, das im ersten Monat, nach Erzählungen, wohl viel geordneter abgelaufen sein soll. Von früh bis nachmittags habe ich also zusammen mit anderen freiwilligen Libanesen die 90 Kinder (im Alter von 4-14) bespaßt. Das Chaos kann man sich wohl vorstellen… Wir haben gebastelt, UNO, Basketball und Fußball gespielt, Zumba getanzt und im Pool gebadet. Durch den täglichen Kontakt und dem Tischkicker Spielen habe ich neben wichtigen Wörtern / kurzen Sätzen auch die ersten Zahlen gelernt. Dass es im Deutschen kein richtig gerolltes „R“ gibt, hat bei Vielen zu Erheiterung geführt, immer dann, wenn ich versuchte, ein arabisches Wort auszusprechen.

Viele Unsicherheiten und Sorgen, die mich im Voraus beschäftigt hatten, seien es die Beweglichkeit im Viertel, der Umgang mit (blonden und damit offensichtlich ausländischen) Frauen oder das Leben allein, erwiesen sich nach einigen Tagen als unbegründet.

Natürlich brauchte es einige Zeit, mit meinem Heimweh klarzukommen und auszutesten, wie wohl ich mich in gewissen Situationen (allein einkaufen gehen, Taxi fahren,…) fühlte, doch habe ich mich, auch mit Hilfe meines Mitbewohners Luca, der vorher schon 6 Monate dort war, schnell eingelebt und so schwand meine Anspannung von Tag zu Tag mehr.

Neben der Arbeit am Vormittag und unter der Woche war es toll, am Nachmittag / Abend (solang noch Kraft bestand) und am Wochenende, die Freizeit zum Ausgleich zu nutzen, zum Erkunden Beiruts und dem Libanon in anderen Teilen.

Müsste ich den Libanon ganz knapp charakterisieren, würde ich sagen, es ist das Land der Gegensätze.

Das zeigt sich zunächst im Kontrast zwischen den verschiedenen Stadtvierteln Beiruts mit dort wohnenden Menschen. Zum Einen prunkvolle Gebäude, anderen Preise, fremden Läden / Marken und dementsprechend auch fremden Menschen (die sich das Ganze leisten können). Zum Anderen dann teils runtergekommene Häuser, günstigere Lebensmittel – komplett grundverschiedene Lebensstandards, und Probleme auf einem anderen Level. Diese Unterschiede sind aber auch innerhalb eines Stadtteils, in Form der Religion, Lebensrealität, oder Herkunft, ebenso wie in der Vielfalt der Natur, Städte, Berge, Meer (nur einige Minuten voneinander entfernt), zu sehen.

Durch die schon länger dort wohnenden Freunde von Luca mit Auto oder die sowohl gepriesenen als auch gefürchteten Public Vans hatte ich auch die Möglichkeit, mehr als nur Beirut zu sehen. So fuhren wir in den Norden nach Akkar und Qoubaiyat, sprangen von Klippen in Byblos ins salzige Meer, wurden in Tripoli auf jeglichen Märkten herzlich willkommen geheißen und bestaunten Baalbeks magische Tempelanlagen.

Ab September schwand die Menge an Arbeit dann. Da die Schulen, unsere geplante Vormittagsaufgabe, noch länger geschlossen blieben, hatte ich, neben dem Fußballtraining an einigen Tagen unter der Woche ab 17 Uhr und samstags, administrativen Aufgaben im Sportclub und kleinen Projekten am Computer, wenig zu tun. Mit der Aussicht, dass sich das bald ändern würde, nahm ich das natürlich erstmal noch dankbar hin.

Neben „typisch libanesischen“ Dingen, an die ich mich schnell gewöhnt habe, wie regelmäßige Schüsse in die Luft als machtdemonstrierendes Zeichen oder der instabilen und ständig wechselnden Währung (-skurs) (der größte Schein 100.000 LBP = ca. 1,10€ und Dollar) immer in Bar, hat mich die Wohnsituation leider teilweise an meine Grenzen gebracht.

Um nach emotionalen Erlebnissen / Gesprächen und persönlichen Schicksalen, aber auch körperlicher Anstrengung nach Hause zu kommen, und das Erlebte bestmöglich verarbeiten zu können, hätte ich mir gewünscht, nicht noch auf weitere Probleme zu treffen. Seien dies fehlendes Wasser aus der Leitung in Bad und Küche oder der generelle hygienische Zustand, was sich in Teilen dann im Laufe auch verbesserte.

Eine durchgehende Konstante waren in jeglichen Lagen die Gespräche / der Austausch mit meinen Habibis, Luca und Nathanael, der Mitte September kam (quasi mit ihm auch unsere adoptierte Hündin Dialli, die unsere Familie komplett machte), aber auch tolle gemeinsame Erlebnisse, die doch doppelt so toll sind, wenn man sie mit jemandem teilen kann.

Wenn ich nun zurückblicke, erinnere ich mich mit einem Lächeln auf den Lippen an wundervolle Menschen, neue Freundschaften, beeindruckende Einzelschicksale, bemerkenswerte Initiativen, absolut fantastisches Essen (bin jetzt Stammgästin beim Libanesen), den Geruch von Man´ouche, die schreiende Nachbar Oma, Fadi und Lama, nächtliches Wettrennen in den 5. Stock, lebensgefährliche Vanfahrten, jedes einzelne Kind in Chabibeh, Dabke Tanzen zu arabischer Musik, Dialli, zahlreiche Geburtstagsfeiern im famous Nightlife von Beirut und natürlich an den Opi im kleinen Laden, der irgendwie nicht richtig rechnen konnte…

„Kannst du mich in deinem Koffer mit nach Deutschland nehmen?“, fragten sie mich am letzten Tag. Mit Tränen in den Augen versuchte ich die extreme Traurigkeit, die mich in den Tagen erfüllte, zu verstecken. Dass ich das Privileg habe, zu gehen, wenn es brenzlig wird, erfüllt mich genauso viel mit Dankbarkeit als mit Scham, meine Freunde und dieses bewegende Land auf unbestimmte Zeit zu verlassen, und sie nicht mitnehmen zu können. Es bricht mir das Herz.

Wie geht das jetzt weiter? Werde ich nochmal zurückkommen können?

Auf diese Fragen weiß ich bisher immer noch keine Antworten, aber was ich weiß ist: Wenn ich zurückkomme, in 1 / 2 / 6 / 12 Monaten: mein Herz wird sich Zuhause fühlen.

Malin

 

Malin verbringt ihren Freiwilligendienst bei Chabibeh Club, ihr Projekt wird ko-finanziert von der Europäischen Union.