„Polen? Wieso denn Polen?“, diese oder ähnliche Fragen bekam ich oft zu hören, als ich vor meiner Abreise den Menschen in meinem Umfeld erzählte, dass ich ab Februar für zehn Monate einen Freiwilligendienst in Gdańsk (Danzig) machen würde.
Ursprünglich hatte ich geplant, meinen Freiwilligendienst in Frankreich oder Spanien zu machen, um damit an bereits erworbene Sprachkenntnisse anzuknüpfen. Das Projekt bei der Caritas in Polen überzeugte mich schließlich jedoch mehr als ein Angebot für einen fünf-monatigen Aufenthalt in Frankreich, da mich die Aktivitäten mit Kindern und Senioren mehr ansprachen und ich lieber für einen Zeitraum von zehn Monaten im Ausland sein wollte. Und so ging es für mich Ende Februar mit dem Zug ab nach Danzig, wo ich für 10 Monate leben sollte, aus denen jedoch lediglich 2 Monate wurden.
Rückblickend betrachtet war die Erfahrung ohne Zweifel bereichernd. Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich das Projekt jedoch nicht weiterempfehlen. Zum einen hieß es bis zum Tag meiner Abreise, dass ich in Sopot leben würde, was sich als falsch herausstellte, denn ich lebte in Danzig und brauchte nach Sopot eine Stunde. Das Zentrum von Danzig war zwar nur 20 Minuten zu erreichen, dennoch war mein Wohnort ziemlich trostlos: weit und breit nur (Hoch-)Häuser und Straßen, selbst zum nächsten Supermarkt nahm ich die Tram. Wir Freiwilligen lebten in einem Gebäude direkt an der Kirche, im zweiten Stock, über den Priestern. Das große Wohnzimmer in unserer Wohnung wurde für Treffen der Kirchengemeinde mitbenutzt, welche mal angekündigt wurden und mal nicht. So kam man manchmal abends nach Hause und in Wohnzimmer und Küche tummelten sich zwanzig unbekannte Gesichter. Auch meine Arbeit machte mir leider deutlich weniger Freude als erhofft. Mein Arbeitsplatz war eine Art Hort, in dem Kinder, aus meist aus unterschiedlichen Gründen schwierigen Verhältnissen, ihre Nachmittage verbrachten. Später arbeitete ich zweimal die Woche auch in Einrichtungen für Senioren. Mit den Kindern und Senioren zu arbeiten war eigentlich eine sehr schöne Tätigkeit. Getrübt wurde die Arbeit mit den Kindern jedoch dadurch, dass ich mich oft überflüssig fühlte und die Erzieherinnen und Erzieher im Hort kaum mit mir kommunizierten, auch diejenigen, die Englisch sprachen. So sehr mich die Kinder zum Lächeln bringen konnten – die Arbeitsatmosphäre in den Horten, die ich gesehen habe, war nicht einladend und von der Koordinatorin des Projekts erfuhr ich immer weniger Unterstützung.
Ich würde das Projekt nur Leuten empfehlen, die extrem viel Eigeninitiative und die nötige Motivation mitbringen, sich durch ein Arbeitsumfeld zu kämpfen, das Hierarchien stark betont und Freiwillige (die zudem eine Sprachbarriere mitbringen) kaum bis gar nicht aktiv in den Arbeitsalltag einbindet.
Natürlich gehörten zu den zwei Monaten aber auch viele bereichernde und positive Erfahrungen. Schöne Erinnerungen habe ich an viele der Senioren und Kinder. Zum Beispiel an eine Gruppe von Mädchen, die mir immer stolz ihre Gymnastik-Choreos vorstellten, an einen Herrn, der stundenlang mit mir Schach spielte oder an eine ältere Dame, die mir selbstgemachte Armbänder mitbrachte und immer mit mir das Gespräch suchte. Andere Senioren sagten ihr immer wieder, es habe keinen Sinn, da ich eh kein Polnisch verstehe, aber sie bemühte sich sehr und schaffte es tatsächlich mit vielen Gesten, langsamem Sprechen und auch Fotos, sich so auszudrücken, dass ich sie einigermaßen verstehen konnte.
Mein Highlight war das einwöchige On-Arrival-Training in Warschau. Es war eine großartige Möglichkeit, um mit anderen jungen Menschen in Kontakt zu kommen, sich über die Projekte auszutauschen und Freundschaften zu schließen. Mit vielen der Freiwilligen, die ich dort kennengelernt habe, bin ich noch immer in Kontakt. Wir nutzten die Möglichkeiten, uns gegenseitig zu besuchen auch, um Polen zu bereisen – eine Chance, für die ich sehr dankbar bin, denn auch wenn viele junge Leute (und ich auch) bei der Planung eines Auslandsaufenthalts erstmal nicht an Osteuropa denken, ist Polen ein sehr spannendes Land, das zumindest einen Besuch definitiv wert ist.
Jedes Land hat seinen eigenen Reiz und gute Gründe, dort einen Freiwilligendienst zu machen, aber ich denke, dass man nicht zwingend ans andere Ende der Welt reisen muss, um etwas über sich selbst zu lernen. Manchmal reicht eine einzige Ländergrenze, um viele eigenen Grenzen neu auszuloten.
Auch wenn ich mich nach einem Monat entschied, das Projekt nach nur 8 Wochen zu verlassen, weil ich so unzufrieden mit dem Wohnort und dem Projekt war und es keine Perspektive auf eine Veränderung gab, nehme ich doch vieles aus der Erfahrung mit. Für mich war es das erste Mal raus von zu Haus und ich habe gelernt, unabhängiger zu sein, in einer WG mit 7 weiteren Menschen zu wohnen, in einem fremden Land zu reisen und mit der Sprachbarriere klarzukommen.
Ich bin mit der Hoffnung nach Polen gegangen, eine klarere Vorstellung meines Berufswunsches zu bekommen, eine neue Sprache zu lernen und etwas mehr von der Welt und mir selbst zu sehen. Nur letzteres hat sich wirklich erfüllt, und zwar meist in Situationen, die sich in meinem privaten Umfeld abspielten und weniger im Projekt selbst: Viel habe ich von meiner ukrainischen Zimmernachbarin gelernt, die trotz unzähliger Schicksalsschläge eine ungeheure Stärke und Großzügigkeit anderen gegenüber an den Tag legt. Auf die Probe haben mich die Ansichten eines Freiwilligen gestellt, der „aus Spaß“ in einer Warschauer Regionalbahn den Hitlergruß zeigte und in mir den ungeheuren Drang auslösten, ihn irgendwie zur Vernunft zu bringen.
Allgemein ist es für mich eine intensive Erfahrung gewesen, als Deutsche in Polen zu leben. Besonders bei der Arbeit mit Polinnen und Polen, die sich teilweise noch an die Schrecken der NS-Herrschaft erinnern können, spürte ich irgendwie ein Gefühl der Schuld, welches sich bei Begegnungen mit Menschen, die das Thema gar nicht auf dem Schirm hatten, wiederum in das Bedürfnis umwandelte, zu sensibilisieren.
Abschließend kann ich sagen, dass ich mit der Entscheidung, das Projekt der Caritas zu verlassen, glücklich bin. Grundsätzlich aber lege ich allen Menschen Freiwilligenarbeit im Ausland wärmstens ans Herz: Man wächst ein ganzes Stück persönlich durch die neuen Lebensumstände und Begegnungen, taucht in ein neues Land und eine neue Kultur ein und schließt Freundschaften fürs Leben.
Linda verbringt ihren Freiwilligendienst in der NGO Caritas , ihr Projekt wird ko-finanziert von der Europäischen Union.
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