Malin in Tbilisi, Georgien // 1. Bericht

Wie im Flug sind die letzten zwei Monate hier in Tbilisi, der Hauptstadt Georgiens und meinem Zuhause für die nächsten neun Monate, vergangen. Ich bin Malin, 20 Jahre alt und komme aus der eher kleineren Stadt Celle aus Niedersachsen. Der Umzug aus der doch manchmal beinahe ländlichen Idylle meiner Heimatstadt in das meist chaotische Tbilisi war gerade zu Beginn eine große Umstellung und ziemlich aufregend.

Mein ESC-Projekt findet unter der Jugendorganisation DRONI statt. DRONI ist eine NGO, mit der Aufgabe, Demokratie und ziviles Handeln zu fördern. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, hat die Organisation mehrere Bildungs- und Jugendförderprogramme auf nationaler und internationaler Ebene umgesetzt. Ziel der Organisation ist die Unterstützung der körperlichen, geistigen und pädagogischen Entwicklung junger Menschen, die Umsetzung Bildungsinitiativen in den Bereichen Zivilgesellschaft, Konfliktlösung, Menschenrechte und Friedenskonsolidierung sowie die Förderung der Interkulturalität und Mobilität junger Menschen. Die Organisation ist auch ein starker Vermittler zwischen lokalen Jugendlichen und der EU.

Ich darf in diesem Rahmen selber Projekte schreiben und durchführen. Dies geschieht im Rahmen informeller Bildung zu den Themenfeldern der Organisation, aber auch eigener Ideen. Aktuell unterstütze ich eine andere Freiwillige meiner Organisation bei der Planung und Durchführung ihres Projekts „Gender Equality“ in Rustavi. 30 TeilnehmerInnen aus 8 Ländern werden dort für eine Woche an diesem Seminar teilnehmen. Ich helfe hier vor allem bei den Warm-Ups und unterstütze die Trainerin. Zusätzlich helfe ich auf Veranstaltungen der Organisation oder anderer Einrichtungen für den ESC und Erasmus+ zu werben und Jugendliche über Möglichkeiten nach dem Schulabschluss aufzuklären. Im Büro unterstütze ich meine KollegInnen bei der Veröffentlichung der Freiwilligen-Berichte und kümmere mich um den monatlichen Newsletter. Zudem hat DRONI gerade eine eigene Bar eröffnet, bei der auch immer eine helfende Hand gebraucht wird. Kein Tag ist wie der andere, auch dadurch, dass manche Projekte nicht in Tbilisi selbst stattfinden und wir dadurch auch kleinere Orte in Georgien kennenlernen dürfen.

Durch die Arbeit mit Menschen, aber auch im Alltag selbst, bekommt man schnell ein Gefühl für die georgische Kultur. Auf Pünktlichkeit und eine klare Struktur wird hier häufig nicht so viel wert gelegt. Dafür umso mehr auf Gastfreundlichkeit. „Ein Gast ist ein Geschenk Gottes“, besagt ein georgisches Sprichwort. Als Gast mangelt es einem deshalb an kaum etwas, besonders nicht an Essen. Als wir die Eltern einer unserer MentorInnen in Zugdidi besucht haben, wurde besonders beim Abendessen ein Gericht nach dem anderen aufgetischt, ebenso wie selbstgemachter Wein (und später der georgische hochprozentige Schnaps Tschatscha). Gutes Essen und Wein haben einen hohen Stellenwert in Georgien. Deshalb wird es hier auch eher als unhöflich empfunden auf der Straße im Gehen zu essen, da man so das Essen nicht wirklich wertschätzt. Diese kulturellen und traditionellen Aspekte sind durch den Generationenwechsel allerdings nicht zu generalisieren, besonders im Bezug auf Geschlechterrollen und dem Umgang mit der LGBTQ+-Community.

Regelkonformität ist ein eher belächeltes Attribut, weshalb es mich überrascht, dass ich noch nicht überfahren wurde, denn an die Straßenverkehrsordnung wird sich hier eher weniger gehalten und die Hupe wird lautstark in allen Situationen eingesetzt. Auch FahrradfahrerInnen sieht man hier eher selten.

Trotzdem genieße ich das Leben in der Großstadt in vollen Zügen. Die schmalen Gassen der Altstadt sind wunderschön, überall gibt es kleine Cafés und Stände an denen man Kräuter oder Früchte kaufen kann. Besonders farbenreich ist der große Bazar, wo man täglich Gemüse und Obst von HändlerInnen kaufen kann. Dort gibt es auch Churchkhela, ein süßer Traditionssnack. Hier werden Nüsse an einer Schnur aufgereiht, mit einem Mantel aus dickem Fruchtsaft überzogen werden und dann zum Trocknen aufgehängt. Es sieht von weitem aus wie eine Kerze oder getrocknete Wurst, ist aber dann doch überraschenderweise ziemlich lecker.

Die georgische Küche ist deutlich vielseitiger, als ich es erwartet habe. Zu meinen Favoriten gehört neben dem bekannten Khachapuri, ein Schiffchen aus Brot was mit geschmolzenem Käse gefüllt ist, die Aubergine-Rollen Badrijani Nigvzit, die mit einer Walnusspaste und Granatapfelkernen gefüllt sind. Besonders Vegetarier müssen sich hier kaum einschränken, da die viele Gerichte ohne Fleisch sind oder es genug fleischlose Alternativen gibt, wie bei den bekannten Khinkali, Teigtaschen, die es auch mit Käse, Kartoffeln oder Pilzfüllung gibt. Hungrig geht man hier selten nach Hause, eher im Gegenteil, häufig ist mein Gürtel nach dem Essen zwei Löcher weiter gestellt.

Ich lebe zusammen mit Jana und Rebekka in einer gemütlichen Wohnung nah am Stadtzentrum. Ganz in der Nähe gibt es das beste Khachapuri und die meisten Clubs sind auch fußläufig zu erreichen. Mehr braucht es auch schon gar nicht um zu einem tollen Wohnort zu werden. Einmal in der Woche kommen andere Freiwillige und Freunde in unsere Wohnung, Rebekka kocht für uns alle, es wird viel geredet und gelacht.

Neben den vielen freundlichen BewohnerInnen, sind mir besonders die tierischen ans Herz gewachsen. Auf den Straßen Tbilisis leben viele Katzen und Hunde. Mit wenigen Ausnahmen sind diese sehr liebenswert und freuen sich über jede Streicheleinheit. Selten habe ich so freundliche und dem Menschen zugewandten Hunde erlebt. Zum Leidwesen meiner Mitbewohnerinnen fällt es mir ziemlich schwer an einem Streuner vorbeizugehen, ohne ihn zu streicheln.

Bevor ich mich näher mit Georgien im Zuge meines geplanten Auslandsjahres befasst habe, war mir nicht wirklich bewusst, dass die GeorgierInnen ihr eigenes Alphabet haben. Es sieht wunderschön aus, besteht aus 33 mehr oder wenig ähnlich aussehenden Zeichen und hat für meinen Geschmack zu viele verschiedene K’s, T’s und Ch’s. Zwei oder dreimal die Woche bekommen wir Sprachunterricht von Miko, einem sehr charismatischen und witzigen Menschen, mit dem das Lernen dieser schwierigen Sprache trotzdem immer Spaß macht (trotz der wöchentlichen Hausaufgaben). Eins meiner persönlichen Ziele ist es zumindest auf einem alltäglichen Niveau georgisch sprechen und verstehen zu können.

Da Miko selbst Mitglied in der NGO „Tbilisi Pride“ ist und auch als Drag-Queen auftritt, haben wir die Möglichkeit bekommen, die LGBTQ+ Community Tbilisis besser kennen zu lernen. Das ist besonders wichtig, da queere Menschen hier mit tiefverankerten Vorurteilen, Diskriminierung, Gewaltverbrechen und Hassverbrechen zu kämpfen haben. Besonders in ländlichen Gegenden ist dies ausgeprägt. Die Ablehnung fängt schon in der eigenen Familie an, die hier einen besonders hohen Stellenwert an. Zwar ist Homosexualität seit dem Jahr 2000 legal, allerdings tut die Regierung nicht viel, um Minderheiten zu schützen. Doch die junge Generation der GeorgierInnen wird immer lauter, mobilisiert und solidarisiert sich.

Tbilisi, aber auch Georgien selbst, scheint sich ständig zu verändern – ich frage mich ob ich selbst am Ende meines ESC einen Wandel erkennen kann. Noch ein Grund mehr sich auf die noch kommenden Monate zu freuen, mit all den neuen Menschen, die ich schon kennenlernen durfte und noch kennenlernen werde!

Malin

Malin verbringt ihren Freiwilligendienst bei der Youth Association DRONI, das Projekt wird kofinanziert von der Europäischen Union.