Caspar in Amman, Jordanien // Abschlussbericht

Es ist dunkel, als ich zum letzten Mal auf dem Flachdach zwischen Wassertanks und Satellitenschüsseln stehe. Ich kann weit über das nächtliche Amman schauen. Zwischen all den weißen Lichtern der Stadt stechen vereinzelt die grün erleuchteten Moscheen heraus. Ich blicke auf die kleine Straße hinab, die ich vor einem halben Jahr zum ersten Mal hinauflief und seitdem unzählige Male durchquert habe. Der Muezzin beginnt das letzte Gebet des Tages zu rufen. Von September bis diesen März habe ich einen Freiwilligendienst mit dem ESK-Programm und unter Unterstützung von NaturKultur bei einer NGO in Amman in Jordanien gemacht, der nun zu Ende geht.

Schon während meines letzten Schuljahres spürte ich, dass ich nach dem Abschluss der Schule meinen Heimatort verlassen wollte. Mich trieb Neugierde an, ein neues Umfeld, mit neuen Menschen und vielleicht auch einer für mich neuen Kultur kennenzulernen. Gleichzeitig fühlte ich mich schlicht gesättigt von der aufregungslosen Kleinstadt, in der ich aufgewachsen war. Ich wollte weg, meine Gewohnheiten abschütteln und mich neu erleben. Das ESK-Programm bot dafür die perfekte Gelegenheit. Ich suchte dort nach einem Projekt, wo ich handwerklich und praktisch tätig sein könnte. Mit der NGO I-Dare und dem dazugehörigen Werkstattprojekt C-Hub wurde ich fündig und schließlich für einen Freiwilligendienst angenommen. Der C-Hub bietet unter anderem handwerkliche Dienstleistungen an, um sich zu finanzieren. Die eigentliche Idee ist es jedoch, mit dem C-Hub die lokale ‚Creative Industry‘ zu unterstützen, also Künstler*innen und ‚Makers‘, wie sie genannt wurden, indem die Maschinen und das Equipment der Werkstatt zugänglich gemacht sind. Außerdem soll der C-Hub ein Ort sein, wo Wissen und Skills in Workshops miteinander gebaut und geteilt werden können.

Zunächst war ich jedoch der einzige Freiwillige in der Werkstatt. Mein Chef und noch zwei Mitarbeiter/feste Freiwillige kümmerten sich um die privaten Aufträge, die die Werkstatt bekam. Da ich wenig angeleitet oder beschäftigt wurde, war ich sehr orientierungslos und frustriert. Ich musste mir meine eigenen Beschäftigungen suchen. Nach fast zwei Monaten kamen durch ein Projekt vier weitere Freiwillige dazu, was die Werkstatt belebte. Dann wurden endlich einige Workshops veranstaltet, in denen ich etwas lernen konnte. Bis dahin hatten noch keinerlei Events in der Werkstatt stattgefunden und auch in der folgenden Zeit sollte es sich auf einige wenige Workshops beschränken. Zwar gab es Ideen für weitere Workshops und sogar die Personen mit dem nötigen Wissen. Doch alles verlor sich, weil es nicht gut organisiert wurde. Häufig irritierte es mich, dass selten klar war, wann wir etwas im Team machten oder wann ich etwas für mich allein arbeiten konnte. Das fordert mir viel Flexibilität ab, da es häufig vorkam, dass ich mich versuchte zu konzentrieren, wenn plötzlich meine Teilhabe gefordert wurde. Ich versuchte dieses Problem anzusprechen und bat um mehr Planungsklarheit und Kommunikation. Leider mit wenig Erfolg.

Bis zum Ende meiner Zeit wurde ich wenig angeleitet oder es ergaben sich nur vereinzelt und zeitweise Gelegenheiten, wo ich in Abläufe oder Projekte einbezogen werden konnte. Zu Beginn versuchte ich noch dagegen anzugehen. Aber mit der Zeit begann ich diese Situation zu akzeptieren und ich passte mich an. Während der letzten zwei Monate kam dazu, dass die Werkstatt grundlegend umgebaut wurde, was jegliche Aktivitäten nochmals erschwerte. Ich zog mich recht viel zurück und beschäftigte mich mit eigenen Dingen. Auch wenn ich merkte, dass dies nicht die Idee des Freiwilligendienstes war, sah ich in der großen Freiheit, die mir gelassen wurde, eine Qualität. Ich genoss, von keinen Erwartungen unter Druck sein. Außerdem schätze ich einfach wert, dass ich gerade die Chance hatte, im aufregenden Amman leben zu können. Allgemein war mein Eindruck, dass man sich in der Organisation etwas darin verhedderte, über die großen Leitgedanken, Werte und Theorien der NGO zu sprechen, dabei aber aus den Augen verlor, wie man konkret an deren Umsetzung arbeitete. Ich fand, dass der C-Hub mit seiner Vision, durch seine gute Ausstattung und seine Mitarbeiter, die über viel Wissen verfügten, ein großartiges Projekt war. Aber man schien sich immer überwiegend auf die externen Aufträge der Werkstatt oder nur Social-Media Kampagnen zu konzentrieren, die leider kaum Aufmerksamkeit im Internet erhielten. Im Januar wuchs unser Team aus Freiwilligen auf sechs an. Dabei wurde deutlicher, dass für uns Freiwillige ganz generell kein Plan für unsere Betreuung vorzuliegen schien. Wir wurden alle kaum eingeführt, mehr oder weniger mit derselben Aufgabe betraut, Social-Media-Content zu erstellen, und dann in Ruhe gelassen.

Der Teil der Arbeit meines Freiwilligendienstes war also etwas enttäuschend. Doch in der Zeit nach der Arbeit und an Wochenenden erlebte und lernte ich unglaublich viel. Es war nicht immer einfach für mich. Besonders während der ersten Monate war ich in der Stadt und Kultur noch orientierungslos und sozial unvernetzt. Sich durchzuschlagen war anstrengend, aber lehrreich. Ich lernte mich selbst mehr kennen und in herausfordernden Situationen mit mir umzugehen. Ich möchte selbstsicher sagen, dass ich dadurch resilienter für Situationen geworden bin, die in ihrer Neuartigkeit und Andersartigkeit zunächst überwältigen können.

Ich genoss es sehr, dass der Freiwilligendienst mir die Chance gab zu lernen, selbstständig zu leben. Dazu gehörte genauso, dass ich die anfangs neue Stadt Stück für Stück entdecken musste, um mich zurecht zu finden.

Sechs Monate in Amman zu leben gab mir außerdem die Chance, tiefer in die arabische Kultur in Jordanien einzutauchen und sie kennenzulernen. Zwar hielt mich die Sprachbarriere immer etwas auf Distanz, aber versuchte man wirklich in Kontakt mit dem Menschen zu kommen oder in das Leben der Araber einzutauchen, kam man doch weit. Es war für mich eine sehr wichtige Erfahrung zu sehen, wie eine Gesellschaft ihr Leben mit anderen Werten und Konzepten als ich sie kannte, gestaltet. Ein wunderbares Beispiel ist dafür das jordanische Bussystem. Mit ihren weißen Minibussen verkehren die Busfahrer auf festgelegten Routen. Sonst ist das System jedoch sehr informell. Es gibt keine Fahrpläne, geschweige denn eine App, auch ausgeschilderte Bushaltestellen gibt es nicht. Alle wissen jedoch, wie das Busfahren abläuft. Auf mich mit der Vorstellung eines getakteten und berechenbaren Fahrplans erschien das System zunächst unzugänglich, chaotisch und unpraktisch. Die Fahrer warteten zu Beginn ihrer Fahrt so lange, bis ihr Bus gut mit Gästen gefüllt war. Mich machte das nervös, ohne Abfahrtszeit einfach warten zu müssen. Ich hatte die falsche Einstellung. Entspannte man sich und akzeptierte die unberechenbaren Ankunfts- und Fahrzeiten der Busse, dann funktioniert das System!

Die Erfahrung des Busfahren zeigte mir, wie etwas auf andere Art funktionieren kann, als ich es gewohnt bin. Genauso war es mit vielen anderen Dingen im Alltag der Jordanier. Vieles hing dabei mit für mich grundlegend anderen Einstellung der Menschen zur Sache oder zu Themen, wie beispielsweise Zeit, zusammen. Ich merkte, dass es für mich als Gast in Jordanien nie darum gehen durfte diese Dinge zu bewerten, aber zu sie anzuerkennen. Manche Praktiken oder Gewohnheiten aus der arabischen Kultur konnten mir erklärt werden. Aber Grundlegenderes, wie Werte, Vorstellungen und Emotionen, die teils in langer Geschichte begründet sind, konnte ich als Gast nur ansatzweise erfassen. Die kulturellen Unterschiede waren selbstverständlich in Momenten auch herausfordernd, aber insgesamt vor allem bereichernd.

Mit der Zeit vernetzte ich mich sozial immer mehr. Dadurch konnte ich zahlreiche wunderbare Erlebnisse mit vielen Menschen teilen. Es war in diesen Momenten, wenn ich besonders dankbar dafür war, dass ich durch das ESK-Programm so unkompliziert die Möglichkeit bekommen hatte, an einen neuen Ort zu ziehen und dort ein neues Leben mit neuen Menschen für eine Zeit lang zu beginnen! Ich schaue glücklich und dankbar auf meine sechs Monate in Amman zurück!

Caspar

 

Caspar verbrachte seinen Freiwilligendienst bei I Dare for Sustainable Development, sein Projekt wurde kofinanziert von der Europäischen Union.