Ein Monat ist mittlerweile schon vergangen, seitdem ich die Plattenbauwohnung gegenüber vom Stade de France verlassen habe und mich wieder auf den Weg nach Berlin gemacht habe. Und während es draußen von Tag zu Tag grauer und kälter wird, denke ich oft zurück an die Sommernächte, die ich mit meiner europäischen Familie auf dem Dach dieser Wohnung verbracht habe oder an die berühmten Parks, in denen wir uns nach der Arbeit auf ein, zwei Biere trafen.
Auch wenn meine Organisation, Planet Citizens, und Paris anfangs für mich nur ein spontaner Ersatz für meinen geplatzten Langzeit-Freiwilligendienst im Libanon waren, sind die Leute und Orte ein großer Bestandteil meines Lebens geworden. Besonders auch, weil unsere Organisation in den Sommermonaten stark gewachsen ist. Viele ehemalige Freiwillige sind für eine oder mehrere Wochen dazugestoßen, um uns bei unseren neuen Projekten zu unterstützen und so waren da plötzlich noch viel mehr Menschen, mit denen man sich über die maroden Schulen und die politisch angespannte Situation aufregen oder auch einfach nur den viel zu spät eintreffenden Sommer genießen konnte.
Mit Beginn der Sommerferien für die Schulkinder hat sich unser Alltag nämlich drastisch verändert, statt in Grundschulen arbeiteten wir jetzt in Parks und alles drehte sich auf einmal um Olympia. Anfangs unterstützen wir Volunteers der Olympischen Spiele im Gespräch mit Touristen (ist halt doof, wenn über 10 Millionen Touristen kommen und nur ganz wenige der Volunteers Englisch sprechen können). Später, während des dreiwöchigen Spektakels, haben wir dann Sprach- und Sporttraining für sowohl Besucher als auch Anwohner der nördlichen Banlieus angeboten. Da viele Wettkämpfe der Spiele in den sonst abgehängten und benachteiligten Vororten lagen, hatten wir die Möglichkeit Kinder, zu Besuch aus anderen Ländern mit Kindern, die dort leben, über die Sprachbarriere hinweg durch den Sport zusammenzubringen. Und zusätzlich waren wir ja noch super nah dran an dem Großereignis des Sommers, wirklich eine einmalige Erfahrung.
Als Freiwillige konnten wir sowohl die spektakuläre Inszenierung bewundern und wurden dennoch Zeugen der Schattenseiten der Spiele. Einerseits hatten wir Freikarten für verschiedene Events, konnten durch die für den Sport eindrucksvoll herausgeputzten Sehenswürdigkeiten laufen oder sind Athleten aus aller Welt (und Snoop Dogg!) begegnet, da das olympische Dorf nur einen Sprint von unserer Wohnung entfernt war. Andererseits mussten wir miterleben wie die große Camps von Obdachlosen in unserer Umgebung geräumt wurden, eine angespannte Stimmung durch die gestiegene Präsenz von Polizei und Militär herrschte und Teile der Stadt wie ausgestorben waren, da die Pariser sich lieber in den Urlaub flüchteten und die üblichen Besucher ausblieben. Und trotzdem waren es die schönsten Wochen meines Freiwilligendienstes, durch die Abwechslung und die vielen schönen Momente mit und ohne Olympia, welche ich mit vielen wunderbaren Freiwilligen aus ganz Europa teilen durfte.
Neben den Kontakten zu Parisern, 93ern und neuen Freunden aus ganz Europa, habe ich auch viele Erfahrungen aus der Arbeit in einem fremden Land mit mir mitgenommen. Insbesondere die Arbeit in den Grundschulen hat mich vor viele Herausforderungen gestellt. Durch die fehlende Ausstattung, den Lehrermangel und den prekären sozialen Kontext, war die Arbeit dort oft chaotischer als ich das noch aus dem Libanon gewohnt war. Dann war es manchmal unmöglich, wie geplant mit den Kindern zu lernen und stattdessen spielte man einfach eine Stunde lang Fußball und versuchte auf Englisch zu kommunizieren. Typisch Europäischer-Solidaritäts-Korps halt, viel Spontanität und Eigeninitiativ, aber immer mit einem großartigen Team, welches unterstützt, wo es kann. Und genau deshalb finde ich, dass jeder mindestens einmal in einem fremden Land trotz aller Herausforderungen mit Sprache, Arbeit und Kollegen arbeiten sollte und einen Ort, den man sonst vielleicht nur als Tourist kennenlernt, sein Zuhause nennen kann. Denn nirgends lernt man Selbständigkeit und Spontanität so gut wie dort. Und umso schöner, dass ich bei meiner Arbeit ständig das Gefühl hatte, hier geht es um Austausch und nicht nur Selbstverwirklichung, Erasmus+ soll ja keine Einbahnstraße sein. Ich war im ständigen Austausch mit französischen FSJlern, Lehrern und natürlich den anderen europäischen Freiwilligen, gemeinsam konnten wir verschiedene Projekte voranbringen und der Austausch bleibt auch nach dem offiziellen Ende des Freiwilligendienstes bestehen, so wie die Erinnerung an eine wunderbare Zeit, auch wenn die 6 Monate viel zu schnell vorbei gingen.