Juliusz in Winnyzja Ukraine // 3. Bericht

Noch vor 2 Monaten hätte ich nicht gedacht, dass ich meinen nächsten Bericht über meinen Freiwilligendienst in der Ukraine nicht in der Ukraine schreiben werde.

Bis zuletzt war ich mir sicher, dass es zu dem Überfall auf die Ukraine, vor dem westliche Medien gewarnt haben und vor dem sich meine Freunde und Familie meinetwegen fürchteten, nie kommen würde. Was für ein abscheuliches Verbrechen dieser Überfall Russlands auf die Ukraine und auf ihre Bewohner ist, brauche ich keinem klardenkenden Menschen erläutern. Ich werde aber, wie es sich in einem Bericht gehört, ganz normal meine Zeit mit Pangeya Ultima zusammenfassen, sowohl vor dem Krieg, als auch meine jetzigen Tätigkeiten. Gerade in dieser Zeit ist es wichtig, allen klarzumachen, dass die Ukraine nicht mit Krieg gleichzusetzen ist, und, dass das, was wir gerade erleben, zwar ein verheerendes, einschneidendes Ereignis ist, aber, vor allem für mich, nicht das ist, was die Ukraine definiert.

Also, seit meinem letzten Bericht hat sich in meiner weiteren Zeit in der Ukraine bezüglich vieler Aspekte nichts grundlegend geändert. Die Ausflüge in das „Eco-Center Stina“ haben sich, aufgrund des Winters, vermindert. Der letzte Ausflug fand Ende November statt. Dieses Mal gab es auch einen sehr spezifischen Grund, wieso wir dort hinfuhren. Jaroslaw, der Projektleiter von Pangeya,  zwei andere Freiwillige, ein professioneller Kameramann und ich waren dort, um ein Video für das Projekt „Image Mapping in Stina“ zu drehen. Kurz; das Projekt existiert, um lokalen Tourismus, vor allem in Dörfern wie Stina, zu fördern. Ich war dort, um eine ukrainische Volksmelodie auf dem Akkordeon zu spielen, was die Handlung des Videos vorantrieb. Auch abgesehen davon, war es ein sehr schöner Aufenthalt, wir aßen bei Onkel Mykola (alias „Djadja Kolja“) zu abend, und zwar eine Mahlzeit, wie man sie sich auf einem ukrainischen Dorf vorstellt, und man bracht uns Freiwilligen bei, „Durak“, ein ukrainisches Kartenspiel, zu spielen.

Als es kälter wurde, und der Dezember seinen Lauf nahm, fing es sogar ordentlich an zu schneien. Zur katholischen Weihnacht fuhr ich zu meiner Familie nach Polen, und im Dezember, reiste ich auch nach Kyjiw und Lwiw, was sehr schöne und eindrucksvolle Reisen waren. Eines meiner Highlights, war es zur orthodoxen Weihnacht in die Kirche zu gehen. Ich war überwältigt und den Tränen nahe, als ich die orthodoxe Kirche im Zentrum betrat, und von der glänzenden Pracht des Inneren begrüßt wurde, während wunderschöne, kräftige orthodoxe Gesänge das ganze untermalten. Es ist eine ganz andere Stimmung, als in evangelischen oder katholischen Kirchen, ich würde das ganze Prozedere fast schon euphorisch nennen, die Freude an Christi Geburt war wirklich zu spüren.

Die zwei Monate nach Weihnachten waren zugegebenermaßen ein wenig ruhiger. Es wurde aber auch auf ein größeres Ereignis hingearbeitet, und zwar das 10-jährige Jubiläum der Organisation, und die deswegen geplante Geburtstagsfeier, die im Endeffekt auch eines meiner schönsten Erlebnisse dort war.

Bezüglich den anderen Aktivitäten lief alles, wie gewohnt. Den Deutschklub bereitete ich nach wie vor mit Franziska jede Woche vor.

Ich begann auch, mich innerhalb meines Projektes, mehr auf die Musik zu konzentrieren. Einmal ging ich sogar in eine Schule, um dort einen Workshop zum Akkordeon als Instrument zu halten. Ich begann auch mich mit Franziska und zwei anderen ukrainischen Leuten wöchentlich bei mir zu Hause zu treffen, um traditionelle Ukrainische Lieder zu spielen. Denn ich habe gegen Anfang des Projektes im Oktober, über OLX (quasi das ukrainische Ebay) ein eigenes Klavier gekauft. Es war eine Herausforderung, aber auch eine gute Erfahrung selbständig das richtige Klavier zu finden, und den Transport zu organisieren, und das alles auf ukrainisch.

Und nun zu meinem Lieblingsteil: Der Ukrainischen Sprache. Tatsächlich habe ich angefangen, mich jeden Wochentag frühs hinzusetzen, und eine Stunde lang ordentlich Grammatik und Vokabeln zu lernen. Auch, wenn ich es nicht schaffte, das immer durchzuziehen, blieb es doch eine Gewohnheit. Mittlerweile ist mein Ukrainisch beim Sprechen sehr viel flüssiger, und sicherer. Doch sind meine Anstrengungen, die Sprache vollständig zu erlernen, noch lang nicht vorüber, und ich habe noch viel zu lernen.

Ich muss aber auch sagen, dass ein zwei Dinge ein wenig bereue. Erstens, dass ich in meiner ganzen Zeit nicht mehr gereist bin, vor allem am Anfang meines Projektes. Ich wäre so gern nach Kharkiw, Tschernihiw, Kherson, Odessa, Mariupol und so weiter gereist. Wenn ich jetzt sehe, was mit den Städten gemacht wird, bin ich traurig, dass ich diese nie wieder so sehen werde, wie sie einst waren. Auch bereue ich es ein bisschen, dass ich die Zeit nicht mehr genutzt habe, um mehr ukrainische Freunde und Bekanntschaften zu machen. Klar hatte ich mit Freiwilligen aus aller Welt, und auch vielen Ukrainern aus Pangeya zu tun. Aber es ist trotzdem dieses Umfeld von Freiwilligen und reiselustigen „internationalen“ Leuten. Aber es ist nicht so, als wäre ich nicht glücklich über all die wundervollen Leute, Ukrainer und Nicht-Ukrainer, die ich dort kennengelernt habe.

Wenn ich jetzt darüber nachdenke war die Atmosphäre generell ein bisschen seltsam zu werden, als würde sich der Überfall anbahnen, auch, wenn ich dies zu der Zeit nicht so wahrnahm. Schon ein paar Tage vor Kriegsbeginn wurden meine zwei französischen Mitbewohner von ihrer Organisation nach Frankreich zurückbeordert. Russland erkannte die DNR und LNR an. Auch die Meldungen des auswärtigen Amtes wurden schärfer. Tatsächlich fuhr ich am 22. Februar mit dem Zug nach Deutschland, um Urlaub zu machen, was ich schon seit einem Monat so geplant hatte; ursprünglich mit der Intention nach anderthalb Wochen zurückzukommen. Trotzdem fühlte es sich so an, als würde ich vor der Gefahr Russlands fliehen, und meine ukrainischen Freunde zurücklassen.

Nun ja, kaum war ich einen ganzen Tag zurück in Leipzig bei meiner Familie, bekam ich am Morgen des 24. Februar mehrere Nachrichten von Ukrainern, ob ich noch dort sei, und, dass ich die Ukraine verlassen sollte. Ich hatte im Vergleich zu den anderen Freiwilligen unheimliches Glück, denn diese mussten innerhalb von einer Stunde ihre Sachen packen, und mit einem Fahrer, der vorher präventiv organisiert worden war, rüber nach Moldawien fahren.

Doch mein Projekt geht weiter. Ich bin NaturKultur und der Nationalagentur so dankbar, dass diese das ermöglichten. Denn ich kann lokales Engagement offiziell in mein Projekt integrieren. Momentan helfe ich beim DRK aus, wo meine Sprachkenntnisse bei der Arbeit mit Flüchtlingen aus der Ukraine sehr nützlich sind. Auch führe ich weiter Online-Deutschunterricht für einige Ukrainer durch. Abgesehen davon engagiere ich mich bei kleineren Arbeiten, von verschiedenen Seiten, bei denen zum Beispiel Übersetzungen benötigt werden. Auch die Arbeit für Pangeya und NaturKultur ist nicht vorbei. Beiden helfe ich bei verschiedenen Projekten Online so gut es geht. Jaroslaw von Pangeya arbeitet beispielsweise im Moment daran eine Webseite (YouthFuture.ua) zu erstellen, die Geflüchteten dabei hilft, wichtige Informationen zu Themen wie Unterkunft oder Integration zu finden, und es fühlt sich gut an zu helfen. Auch habe ich angefangen auf der Straße Akkordeon zu spielen, und das Geld, welches ich sammle, zu spenden. Es ist also vieles zu tun.

Manche Freiwillige haben das Projekt abgebrochen, was ich verstehen kann, da diese auch andere Dinge zu tun haben, wie sich um ihre Arbeit zu kümmern, usw. Für mich kam dies jedoch nicht in Frage. Ich habe dieses Projekt nicht des Freiwilligendienstes wegen begonnen, sondern der Ukraine wegen. Irgendwann wird auch dieser schreckliche Krieg ein Ende finden, und dann, werde ich all das nachholen, was ich in meiner Zeit nicht erreicht habe, und noch vieles mehr. Dieser Freiwilligendienst ist nur der Anfang von vielen, vielen Reisen in die Ukraine, und von meiner Arbeit mit der Ukraine. Ohne die Ukraine wäre die Welt ein trauriger Ort. Und ich bin mir sicher, dass der Ukraine eine leuchtende Zukunft entgegen strahlt.

Україна буде перемогти!
Хай живе вільна Україна!

Juliusz

Juliusz verbringt sein ESK bei Pangeya Ultima und ist Teil des Projekts  “Volunteers for a Green Future”, finanziert durch das Europäische Solidaritätskorps und JUGEND für Europa.