Julia in Tbilisi, Georgien // 3. Bericht

Normalerweise würde ich diesen Bericht mit einer kleinen Anekdote oder einer typischen Phrase ganz im Sinne von „Oh, wie doch die Zeit verflogen ist!“ starten. Doch im Angesicht dessen, was in Georgien momentan passiert, würde ich mich gerne zuerst etwas anderem widmen. Wie ihr vielleicht mitbekommen habt, finden in Georgien, besonders hier in Tbilisi, jeden Abend (Massen-)Proteste statt. 

Die Regierungspartei Georgischer Traum hat Anfang April das „Foreign Agents Law“ angekündigt. Das Gesetz, das offiziell für mehr Transparenz bei NGOs sorgen soll, ist in ähnlicher Form seit 2012 in Russland in Kraft und wird dort verwendet, um die Arbeit von NGOs und die Zivilgesellschaft zu beeinträchtigen. 

Trotz täglicher Proteste der georgischen Gesellschaft hat das Parlament das Gesetz am 14. Mai verabschiedet. Dies zog heftige Kritik der westlichen Verbündeten Georgiens nach sich. Mögliche Konsequenzen sind eine Terminierung des EU-Beitrittskandidatenstatus Georgiens, die Visafreiheit für Georgier im Schengenraum zurückzuziehen oder Sanktionen. 

Beim Blick nach Georgien aus dem Ausland ist es nun essentiell, sich über die Zivilcourage der georgischen Gesellschaft bewusst zu sein. Die Georgier protestieren friedlich für ihre Zukunft und geben alles, um eine europäische Perspektive zu erhalten.

Auch wenn die Proteste viel Raum seit April eingenommen haben, war das natürlich nicht alles, was passiert ist. 

Für JAMnews habe ich meinen zweiten Artikel über feministische Street Art in Tbilisi fertig geschrieben. Momentan arbeite ich zweigeteilt an meiner Dokumentation und einem neuen Artikel.

Viele der Interviews für meine Dokumentation habe ich mittlerweile gefilmt. Durch diesen Prozess konnte ich viel über das Filme machen lernen, wie korrekte Komposition oder Belichtung. Nun muss ich noch die letzten Interviews filmen, darauf basierend mein finales Skript schreiben und alles zusammenschneiden.

Der neue Artikel, an dem ich arbeite, handelt von einem Areal im Norden Tbilisis. Eigentlich ist es eine Flussaue, in der Tiere und Pflanzen einen Rückzugsort finden. Jedoch wurde dort illegal Kies abgegraben sowie Müll hinterlassen, sodass heute nur noch 15 Hektar Wald von ursprünglich 70 Hektar bleiben. Dass überhaupt noch intakte Areale dort vorzufinden sind, liegt an der mutigen Arbeit einer Aktivistin aus Tbilisi.

Neben der Arbeit bei JAMnews habe ich für Droni zwei Events organisiert. Zum 8. März, dem internationalen Frauentag, haben Miri, eine weitere Freiwillige, und ich gemeinsam einen Austausch organisiert. Ein Dronimitglied hat eine Präsentation über wichtige georgische Frauen der Geschichte gehalten. Daraufhin hat die Chefin einer hier ansässigen NGO für Frauen uns aus ihrer Arbeit erzählt. Zuletzt saßen wir alle zusammen, haben gebastelt und über unsere Erfahrungen mit Diskriminierung und gesellschaftlichen Standards gesprochen.

Da wir eine Serie an Events um das Thema Feminismus und Empowerment kreieren wollen, haben Miri, Johanna und ich am 14. Mai ein zweites Event abgehalten. Dieses Mal waren wir in einem Jugendzentrum südlich von Tbilisi und haben dort mit den Mädchen über verschiedene Statements zum Thema gesprochen. Danach saßen wir wieder zusammen, haben gebastelt und gemeinsam über unsere Erfahrungen geredet.

Außerhalb meiner Arbeit ist seit meinem letzten Bericht wirklich viel passiert. Meine Freizeit verbringe ich viel mit anderen Freiwilligen, Internationals, aber auch immer mehr Georgiern. Tbilisi kenne ich mittlerweile wirklich gut, auch wenn ich immer noch unbekannte Ecken entdecke. Ich merke wirklich, wie sehr ich Tbilisi und das Land in den letzten Monaten ins Herz geschlossen habe. 

Ich hatte in den letzten Monaten das große Glück, dass mich viele meiner Freunde von zu Hause, sowie meine Mutter hier besucht haben. Im Februar kamen meine Freundinnen Mirjam und Aylena, mit denen ich spontan nach Yerevan gefahren bin. Es war mein erstes Mal in Armenien und super interessant. 

Im März kamen dann meine Freunde Vani und Max, denen ich sehr viel von Tbilisi zeigen konnte.

Mit Daniel, der Anfang April kam, war ich bei der Gergeti Kirche in Stepantsminda und der Höhlenstadt Uplistikhe bei Gori. Beide Orte waren sehr beeindruckend.

Mitte März kam dann meine Mutter, mit der ich wieder viel von Tbilisi gesehen habe.

Es ist super spannend, dem Besuch von zu Hause die Stadt und das Land zeigen zu können. Dabei ergibt sich immer wieder eine ganz neue Perspektive. 

Meine Mitbewohnerinnen bekommen auch fleißig Besuch und es ist super schön, immer wieder neue Leute kennenzulernen und ihre Freunde und Verwandte zu treffen.

Ende März hatten wir unser Mid-Term Training. Dort konnten wir viele Freiwillige, die wir schon auf dem On-Arrival Training kennengelernt haben, wiedertreffen. Das Mid-Term Training hat super dabei geholfen, sich nochmal fokussiert Ziele für den restlichen Aufenthalt zu setzten. Da das Training wieder in Bakuriani, einem Ort in den georgischen Bergen, war, konnten wir auch noch ein letztes Mal Schnee sehen.

Kurz nach dem Mid-Term Training habe ich innerhalb eines Tagesausfluges mit einer französischen, einer amerikanischen und einer georgischen Freundin die Region Kakheti im Osten Georgiens erkunden können. Wir haben Klöster und Weingüter besucht.

Auch habe ich danach zum ersten Mal Gori sehen können. Droni bietet einen ESC Caravan an, dabei fahren Dronimitglieder durch Georgien und erzählen Interessierten in den kleineren Orten Georgiens von der Arbeit mit Erasmus.

Meine letzten zwei Reisen führten mich in den Vashlovani Nationalparl und in die Region Gurien.

Der Vashlovani Nationalpark befindet sich in der südöstlichsten Ecke Georgiens in der Region Kakheti. Die Landschaft dort ist einzigartig in Georgien. Zuerst fährt man durch sanfte, begraste Hügellandschaften. Überall, wo man hinsieht, ist es grün. Darauf betritt man eine aride Landschaft mit Canyons, Gazellen und Schlangen. Wir haben an einem Campingplatz gecampt, der direkt an einem Flussufer lag. Lustigerweise bildete der Fluss die Grenze zu Azerbaijan. Obwohl ich noch nie in Azerbaijan war, habe ich es somit schon mal aus der Nähe sehen können. 

Nachdem ich Ende April ein Wochenende in Vashlovani verbracht habe, sind Franka, eine weitere Freiwillige und sehr gute Freundin, und ich dann über die georgischen Osterfeiertage verreist.

Am Ostersonntag waren wir noch bei einer georgischen Familie in Kakheti zu Gast und durften mit ihnen traditionell georgisch essen. 

Am nächsten Tag sind Franka und ich dann mit der Marshrutka los nach Ureki gefahren. Das Wetter war leider verregnet, aber es war trotzdem super schön. Ich war zum ersten Mal am schwarzen Meer. Der Regen und das Meer zusammen haben mich sehr an die Nordsee erinnert, was mich aber nicht stört. Der Strand in Ureki selbst ist einer der wenigen Sandstrände in Georgien. Durch das im Sand enthaltene Magnetit ist der Sand hier schwarz.

Nachdem wir eine Nacht in Ureki verbracht haben, sind wir weiter in das kleine Dort Gomi im Landesinneren. Eigentlich wollten wir zum Berg Gomismta, jedoch lag Anfang Mai immer noch Schnee dort, sodass wir unseren eigentlichen Plan verworfen haben. Stattdessen sind wir in der idyllischen Gegend um Gomi gewandert. Dort ist es subtropisch anmutend, überall wachsen Palmen und ein Fluss mit moosüberzogenen Felsen fließt durch die Landschaft. Während wir gewandert sind, konnten wir immer wieder Blicke auf den noch schneebedeckten Berg erhaschen. 

Am nächsten Tag sind wir dann weiter nach Ozurgeti, die Hauptstadt von Gurien. Die Stadt hat nur 14.000 Einwohner und ist sehr putzig. Auf dem Weg dorthin haben wir auch das Kloster Shemokmedi besucht.

Georgien war früher der viertgrößte Teeproduzent der Welt, sowie ein bedeutender Haselnussproduzent. Beide Güter wurden vor allem in Gurien angebaut. Mittlerweile sind jedoch viele der Teeplantagen eingegangen, da die Betreiber den Tee in den Neunzigern aufgegeben haben. Trotzdem gibt es einige Familienbetriebe, die den Tee wieder entdeckt haben. 

An unserem letzten Tag in Gurien haben wir einen dieser Betriebe besucht. Die Plantage wird von zwei Schwestern betrieben, eine der Schwestern spricht fließend Deutsch und hat uns alles gezeigt. Wir konnten die Teeernte sehen, selbst ein paar Blätter pflücken und durften am Ende hausgemachtes Khachapuri und Tee kosten. Der Besuch war definitiv das Highlight des Trips.

Diese Woche werde ich noch normal bei JAMnews arbeiten. Nächste Woche steht schon der nächste Trip an: meine Freundinnen und ich fliegen für eine Woche nach Kasachstan! Wir werden zuerst nach Almaty gehen, darauf wollen wir auch noch nach Kirgistan. Ich bin schon echt gespannt, diesen Winkel der Welt zu sehen, der zumindest in Deutschland noch sehr unbekannt ist. 

Für den Juni haben wir dann noch Karten für das Tbilisi Open Air, dem größten Festival der Kaukasusregion. 

Zwar merke ich immer wieder, dass meine Zeit hier langsam, aber sicher zu Ende geht, trotzdem freue ich mich schon sehr auf die letzten Monate hier und versuche nochmal alles richtig zu genießen.

გაუმარჯოს საქართველო, კარგად und bis bald!

Julia

Julia verbringt ihren Freiwilligendient bei GoGroup mit Unterstützung von Youth Association DRONI, ihr Projekt wird kofinanziert von der Europäischen Union.