Caspar in Amman, Jordanien // 2. Bericht

Die letzten Sonnenstrahlen des Tages spiegeln sich in den blau verglasten Fassaden der Wolkenkratzers Amman. Ich stehe auf einem Hausdach am Hang des Jebel AlWebdeh und schaue über die Dächer der Stadt. Um mich herum meine Freund:innen. Seit fast vier Monaten bin ich in Amman. Vier Monate klingen für mich wie eine lange Zeit. Doch zurückblickend ging es unglaublich schnell vorbei. Ich lächele.

In einer neuen Stadt anzukommen, also sich dort soziale Vernetzungen aufzubauen, Freizeit auszuleben und sich im Alltag zurechtzufinden, braucht Zeit. Das habe ich hier in Amman gelernt. Nach drei Monaten war ich an dem Punkt angelangt, an dem ich mich in der neuen Stadt gefestigt fühlte. Ich glaube, ich verstehe mittlerweile gut, wie das Leben hier abläuft. In Teilen habe ich mich angepasst oder ich versuche mich flexibel in den Lebensmustern der Stadt und Menschen umherzubewegen. Außerdem freut mich, dass ich an mehrere Freundesgruppen Anschluss finden konnte! Die Erkenntnis, an einem neuen Ort mit neu kennengelernten Menschen zu sein, erfüllt mich! Trotz des Gefühls ‚angekommen‘ zu sein, erlebe ich immer wieder erneut den Moment, wenn ich mich völlig beglückt besinne, dass ich gerade in Amman lebe! In Amman! Die Distanz zu meiner Heimat gibt mir dabei das Gefühl von Freiheit und Selbständigkeit.

Mit drei Freund:innen reise ich über ein Wochenende nach Jerusalem und Palästina, das über den Landweg von Amman aus gut erreichbar ist. Ich habe Israel und Palästina vor drei Jahren zum ersten Mal besucht. Eindrücklich fand ich schon damals die sichtbaren Spuren der Konflikte in dieser Region, wie zerschossene Panzer auf den Golanhöhen. Aber dieses Mal trat mir der israelisch-palästinensische Konflikt noch klarer vor Augen. Mich überraschte und bewegte dabei vor allem, wie deutlich die Apartheid in diesem Konflikt zu sehen, geradezu zu spüren ist. Sei es an der Grenze, an den israelisch kontrollierten Checkpoints zur Westbank oder durch die allgegenwärtige Präsenz des Militärs in Jerusalem: Die Israelis sind in einer übermächtigen Position. Bei plötzlichen Passkontrollen im Bus durch israelische Militärs werden die Pässe von Arabern genau inspiziert und abgeglichen während wir sofort in Ruhe gelassen werden, als wir unsere US-amerikanischen und europäischen Pässe zeigen. An der Grenze durchsuchen die israelischen Beamten das Gepäck von Arabern. Ich werde durchgewunken!

In Jerusalem gibt es inmitten arabischer Viertel von radikalen Israelis besetzte Häuser, die wie Burgen verbarrikadiert sind und mit großen israelischen Flaggen behangen sind. Mir wird erzählt, dass Israelis solche Häuser besetzten, wenn die arabischen Bewohner:innen nur kurzzeitig ihr Haus verließen. Die eigentlichen, nun obdachlosen Bewohner:innen seien machtlos. Neben diesen verstörenden Schilderungen wirkte der Anblicke der riesigen Israel-Fahnen an den Häusern auf mich wie provokative Gesten. Israelische Zivilisten:innen und junge Soldat:innen, die völlig selbstverständlich mit Maschinengewehr an ihrer Seite durch die Gassen der Altstadt schlendern, erinnern jedoch erneut an die Macht und Waffenbereitschaft der Israelis. Natürlich beeinflusste mich bei diesem Besuch meine Zeit in Jordanien, weil ich hier viel aus arabischer Sicht über den Israel-Palästina Konflikt erfahre. Mehrere meiner Kolleg:innen kommen ursprünglich aus Palästina. Sie selbst oder ihre Eltern bzw. Großeltern sind geflohen. Ihre Heimat besuchen können sie momentan nicht. Die Israelis kontrollieren die Grenzen und lassen Palästinenser nicht einreisen. Es gebe kein richtiges Einreiseverbot, aber als Palästinenser ein Visum für Israel zu erhalten, sei aus willkürlichen Gründen so gut wie unmöglich. Selbst mit einem jordanischen Pass, den mittlerweile viele der Flüchtlinge oder deren Kinder hier haben, sei es nicht einfach. Wenige Tage nachdem wir aus Jerusalem abgereist sind, werden dort gleichzeitig zwei Bombenanschläge verübt. Zwei Israelis sterben. Plötzlich scheint die Militärpräsenz Israels, zumindest ein Stück weit, wieder verständlicher.

Abgesehen von diesen bedrückenden Eindrücken, war es ein fantastisches Gefühl zu reisen und für einige Tage aus Amman herauszukommen. Uns fiel sofort auf, dass Jerusalem verglichen zu Amman deutlich mehr Natur und Parks in seinem Stadtbild hat. Weil wir genau das alle vermisst hatten, genossen wir es sehr, einfach im Park unter Bäumen auf einer Wiese zu sitzen, während schillernde Sittiche zwitschernd über uns kreisten. Ein besonderer Moment dieser Reise war für mich der Anblick des Felsendoms. Masha’Allah! Seine wunderschöne blaue Mosaikfassade, dazu die vergoldete Kuppel, die in der Sonne erstrahlt. Um den Dom erstreckt sich ein weiter Platz, dem ein etwas tieferer Teil vor-gelagert ist. Dort spendet ein Wäldchen aus großen Bäumen idyllisch Schatten. Es ist ein wunderschöner Ort!

Schon in meinem ersten Bericht für NaturKultur hatte ich beschrieben, wie mir die große Freiheit an meinem Arbeitsplatz wiederholt zu schaffen macht. Für meine ‚Arbeit‘ habe ich keine Aufgaben und es wird wenig von mir erwartet. Das bedeutet, ich muss mir meine tägliche Beschäftigung selbst suchen. Manchmal wird meine Hilfe benötigt. Dann assistiere ich in der Werkstatt, in der ich arbeite, an verschiedenen Stellen. Mittlerweile schaffe ich es an den meisten Tagen gut mit dieser Freiheit umzugehen. Ich konzentriere mich auf mich und genieße, dass ich von keinen Erwartungen unter Druck gesetzt werde. Nur manchmal verliere ich mich in der Suche nach Beschäftigung. Diese Momente sind unschön.

So aufregend und eindrücklich es ist in Amman zu leben, hat das Leben hier auch seine schwierigen Seiten. Diese machen sich nach vier Monaten bemerkbar und stellen sich besonders in meiner Freizeitgestaltung häufiger als Last dar. Eine Schwierigkeit ist das Thema Mobilität. Ammans öffentliche Verkehrsmittel sind sehr informell organisiert. Das macht ihn für Neulinge schwer zugänglich, weil keine offiziellen Informationen zur Verfügung stehen. Ich muss daher meistens auf den Service Uber oder Taxen zurückgreifen. Zwar ist das Taxi-fahren deutlich billiger als in Deutschland, aber fährt man einige Male pro Tag, summiert sich das schnell. Das sportliche Angebot in Amman ist klein. Häufig sind die Treffpunkte von Sportgruppen entfernt von mir. Auch das kulturelle Angebot liegt von meiner Wohnung nicht in unmittelbarer Reichweite. Wenn ich in ein Café gehen möchte, muss ich erneut Zeit und Geld für ein Taxi einplanen, um zunächst dorthin zu kommen. Bestimmt sind es Luxusprobleme, die ich hier beschreibe. Trotzdem geht es mir auch um Bedürfnisse, wie sportliche Aktivität. Es sind Dinge, die das Leben in Amman zeitweise etwas anstrengend machen können.

Über Weihnachten werde ich zurück nach Deutschland reisen. Es wird eine Pause von meinem Freiwilligendienst sein, auf die ich mich freue! Als ich in Berlin aus dem Flugzeug steige merke ich, dass ich vergessen habe, wie sich Winter in Deutschland anfühlen kann. Ich laufe gegen eine eisige Wand. Kalt und grau. In diesem Moment genieße ich es. Trotzdem ist der Gedanke an die Sonne sofort da, die in Amman selbst im Winter so wunderbar wärmend ist.

Caspar Steinke

Caspar verbringt seinen Freiwilligendienst bei I Dare for Sustainable Development. Sein Projekt wird durch JUGEND für Europa und das Europäische Solidaritätskorps gefördert.